Nach dem Regen sieht die Medina
besonders erbärmlich aus.
Nicht die rue des Consuls, wo Teppiche, Lederjacken
und Handgeschnitztes für Touristen feilgeboten werden.
Aber die Mellah, das ehemalige
Judenviertel, wo alte Bettler vor engen Hauseingängen kauern und selbst
angeschimmeltes Gemüse noch Käufer findet.
Oder die schmalen Gassen hinter
dem Sonntagstor, dem Bab el Had, wo es allerhand Elektronik zu kaufen gibt und
junge Männer sich dichtgedrängt um Stände mit heißer Schneckensuppe scharen, um
sich am Essen und an der Nähe zu den Anderen zu wärmen.
Dort war ich neulich unterwegs,
um ein Bild rahmen zu lassen.
Der Regen hatte nicht etwa die Straßen
sauber gewaschen, sondern, zusammen mit dem Wind, den Müll an abschüssigen
Stellen angesammelt.
Alte Frauen mit vor
Verbitterung verzerrten Gesichtszügen, in denen nur Sozialromantiker
anerkennend das „gelebte Leben“ sehen, zetern wegen irgendwas.
Einige Jungs, offenbar
zusammengehörig, prügeln sich hart, bis einer von ihnen sich mit rotem Kopf,
weinend und laut anklagend, von seiner Clique entfernt. Der Ältere lacht,
beschwichtigend, verniedlichend.
(So lernen die Kinder früh, wie sich
Demütigung anfühlt; das Gefühl wird sich wie ein roter Faden durch ihr Leben
ziehen.)
In solchen Momenten muss ich an
bestimmte Sprüche denken, die durch das Internet geistern, wie: „Das Leben
beginnt erst, wenn man die Komfortzone verlassen hat.“
Was wohl die Menschen hier mit
ihrem herrlich unkomfortablen Leben dazu zu sagen hätten?
Auf dem Vorplatz, vor dem
Nadelöhr des Toreinganges, steht eine blonde Touristin, die Arme unter der
Brust verschränkt, und guckt mit versteinerter Miene ins Leere.
In dem vollbepackten Sträßchen,
wo Handys zum Schleuderpreis verkauft werden, werde ich von einem schlacksigen Mann
in einer schwarz-weiß gemusterter Kapuzenjacke angerempelt. Als ich mich misstrauisch
zu ihm drehe und er meinen Blick auffängt, hält er schnell ein Handy in die Höhe.
Ein weißes Smartphone.
„Vous cherchez un téléphone?
Brauchen Sie ein Telefon?“
„Solang es nicht meines ist!“,
rufe ich aus und taste instinktiv meine Handtasche ab. Alles noch da. Er sieht
mich noch einen Augenblick an, wartet auf mein Kopfschütteln und hastet weiter.
Das ist ungewöhnlich. Niemand hastet.
Niemand läuft schnell in Marokko.
Ich sehe ihm nach.
Nach einigen
Metern stellt er das weiße Handy beiläufig auf den schmalen Tisch eines
Händlers und schreitet mit großen Schritten davon, verschwindet schließlich in
der Menge.
„Werden hier auch manchmal
Handys gestohlen?“, frage ich den Rahmenmacher.
„Aber nein, Madame, wo denken
Sie hin?“ Dann senkt er den Kopf und murmelt verschämt, „…manchmal… das kann
mal vorkommen…. das sind die Schwarzen, die Afrikaner, wissen Sie, denen kann
man nicht trauen, schlimm, das ist schlimm!“
Als ich nach einer Viertelstunde
zurückgehe, sind die Gassen voller Polizisten. Sie bringen sich breitbeinig in
Position, lassen sich die Auslagen zeigen, schnippen einem Händler die Kappe
vom Kopf.
Die Männer zeigen nur lauernd ihre Angst. Ihre Verachtung ist ein
Luxus, dem sie erst frönen werden, wenn die Polizisten sich zurückgezogen
haben. Diese werden natürlich nicht fündig, sie nutzen nur die Gelegenheit, sich
aufzuspielen, ihre Macht zu genießen.
(Macht, sichtbare, fühlbare
Macht ist DAS Thema in Marokko.)
Ich laufe aus einiger
Entfernung wieder an der blonden versteinerten Miene vorbei. Neben ihr steht
der schlaksige Mann, der es vorhin noch so eilig hatte. Er ist dabei, sie mit
aufgedrehter Unterwürfigkeit benommen zu quasseln.
In der Hand hält er ein kleines
rotes Handy zum Aufklappen.
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